Ein Auslandsstudium in Planung

Die vielen Aufgaben des Gaius Pupus1

Von Kimberley W.

Seit Jahrzehnten steigt die Anzahl der Studierenden, die ihr Studium für einen gewissen Zeitraum im Ausland fortsetzen. Auslandserfahrungen gelten als ein riesengroßer Vorteil – und das sowohl im Lebenslauf, für die persönliche Entwicklung, als auch für sogenannte bessere Chancen in der zukünftigen Arbeitswelt. Es gibt unzählige Beratungsangebote an Universitäten, bei denen einem vermittelt wird, dass mittlerweile wirklich jede Person die Möglichkeit hat, im Ausland zu studieren. Oder wie der DAAD2 es formuliert: „Während des Studiums ist der Weg ins Ausland besonders leicht“ oder auch an anderer Stelle: „… an der Finanzierung sollte der Wunsch nach Auslandserfahrung nicht scheitern.“ Sollte er nicht, stimmt.

Schließlich gibt es ganze Datenbanken für Stipendien, es gibt Angebote wie das Auslands-BAföG oder Erasmus+ und viele mehr. Da kann die Umsetzung doch nicht so schwierig sein, oder? Spielen wir das Ganze einmal durch.

Ich habe mich für ein Land außerhalb der EU beworben und tatsächlich einen Platz ergattern können. Studiengebühren vor Ort muss ich aufgrund meiner Immatrikulation hier in Deutschland nicht zahlen, so weit, so privilegiert. Da ich von klein auf und dementsprechend auch während meines gesamten Studiums durchgängig „nebenbei“ gearbeitet habe, habe ich für mich entschieden, zu versuchen, meinen Auslandsaufenthalt ohne Nebenjob zu gestalten, mich zum ersten Mal einfach nur auf mein Studium zu konzentrieren – ein Traum. Also habe ich mich sowohl für Auslands-BAföG als auch für zwei Stipendienprogramme beworben und fühle mich seit- dem wie Asterix und Obelix auf der Suche nach dem Passierschein A381 – wahnsinnig, ausgelaugt, von einem Ort zum anderen rennend.

Zum einen ist da ein neues und unbekanntes Loch in meinem Sicherheitsnetz: Kein eigenes, erarbeitetes Einkommen mehr. Diese vollkommene finanzielle Abhängigkeit von außen ist etwas, das meinem Aufwachsen als Arbeiter*innenkind absolut widerspricht. Seit ich denken kann, haben meine Eltern uns beigebracht, dass wir uns finanziell selbst absichern müssen – Schulden sind hierbei ein absolutes No-Go und tunlichst zu vermeiden (Arbeiter*innenbienen ahoi!). Dass dies eigene Probleme mit sich bringt, ist klar. Allerdings ist es sowohl das, was ihnen beigebracht worden ist, als auch etwas, das sie selbst beim Aufwachsen schmerzhaft haben lernen müssen.

Zum anderen ist der ganze Prozess der Bewerbungen zermürbend und zeitaufwendig. Neben Studium, Nebenjob und (dem für viele Stipendien notwendigem) Ehrenamt müssen Gutachten besorgt, Formulare mehrfach ausgefüllt, Motivationsschreiben sowie Lebensläufe formuliert, übersetzt und die eigene Lebensrealität, inklusive schmerzhafter Erfahrungen à la Diskriminierungsbingo, offengelegt werden. Doch hier endet das Thema nicht. Einen Monat (!) vor Beginn des Semesters und nach viel zu vielen E-Mails, doppelten Nachreichungen sowie unnötigen Drohungen3 habe ich nun endlich die Antwort vom Studierendenwerk und die Rückmeldung eines der beiden Stipendienprogramme erhalten. Besonders die noch ausstehende Antwort ist interessant, bedenkt man, dass diese Organisation von sich behauptet, einer „Diversitätsagenda“ nachzugehen und doch zugleich Studierende offensichtlich bis kurz vor knapp zittern lässt. Zu einem Zeitpunkt, an dem ich noch gar nicht wusste, ob ich mir den Auslandsaufenthalt überhaupt leisten kann, musste ich bereits einiges vorstrecken: Reisepass, ein vollkommen überteuerter, da aufgrund der Umstände spät gebuchter, Flug, Auslandskrankenversicherung, internationaler Führerschein. Ein Visum kann ich Stand jetzt nicht beantragen, da ich weder konstant über 10.000 € verfüge noch ein monatliches Einkommen von mindestens 950 € vorweisen kann. Was mir zudem nicht klar war, ist, dass ich als Studierende, zusätzlich zu der notwendigen Auslandskrankenversicherung, auch durchgängig meinen Krankenkassenbeitrag in Deutschland zahlen muss.

Das sind sowohl im Vorhinein als auch währenddessen wahnsinnige Summen und Kosten, die da auf einen zukommen. Besonders, wenn man ewig auf eine Rückmeldung der Stellen warten muss und im schlimmsten Fall das ganze Geld umsonst ausgegeben und den eigenen Job gekündigt hat – ein Risiko, das man sich leisten können muss, einzugehen, für das man gewisse Privilegien braucht. Ähnliches spiegelt auch die von mystipendium.de und Stiftung Mercator 2016 durchgeführte Stipendienstudie wider: Je „höher“ die „Bildungsherkunft“, desto höher auch die Wahrscheinlichkeit, dass Studierende sich auf ein Stipendium bewerben. Gleichzeitig erhalten am ehesten Personen Stipendien, die eine „höhere Bildungsherkunft“ haben4. Was an diesem Prozess also nun „besonders leicht“ oder „divers“ sein soll, erschließt sich mir nicht. Dementsprechend wird und bleibt deutlich, dass diese Hürden dafür sorgen, dass sich viele Menschen ohne gewisse Ressourcen und Privilegien gar nicht erst für einen Auslandsaufenthalt bewerben – und dementsprechend von außen als relevant betrachtete Erfahrungen nicht machen können

Die Autorin

Kimberley W. studiert in der ersten Generation und macht nach einem, arbeitsbedingt recht langem, Bachelor ihren Master in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft, sowie Gender Studies. Zudem hat sie ironischerweise stets das Gefühl, nicht genug über Klassismus zu „wissen“, um darüber reden zu können (ha).

  1. Beide Hinweise beziehen sich auf den Film „Asterix erobert Rom“, in dem Julius Cäsar den Galliern Asterix und Obelix 12 unlösbare Aufgaben auferlegt, um das Gerücht bezüglich ihrer Göttlichkeit zu überprüfen ↩︎
  2. Deutscher Akademischer Austauschdienst ↩︎
  3. „Sofern die Unterlagen nicht vollständig bis zum [Datum] hier vorliegen, werde ich prüfen, ob Ihr Antrag gemäß § 66 Absatz 1 des Sozialgesetzbuches […] wegen Nichterfüllen Ihrer Mitwirkungspflicht […] abzulehnen ist.“ Dass gewisse für die reine Berechnung nicht notwendige Unterlagen von anderen Personen/Institutionen abhängig sind und deren Erhalt nicht in der eigenen Macht liegt, ist hier irrelevant. Dementsprechend erhielt ich meine Antwort ein halbes Jahr nach Antragstellung. Ein Umstand, der leider einigen Personen in meinem Umfeld nicht unbekannt ist. ↩︎
  4. „Die Stipendiatenquote zeigt eine signifikante Korrelation mit der Bildungsherkunft des Studierenden. Während in der Gruppe der Studierenden mit hoher Bildungsherkunft mit 25,6 % über ein Viertel ein Stipendium erhalten, sind es in der Gruppe mit niedriger Bildungsherkunft mit 19,7 % nur noch weniger als ein Fünftel.“, S. 33. https://www.mystipendium.de/uploads/stipendienstudie_2016.pdf Selbstverständlich spielen noch weitere Diskriminierungsformen eine relevante Rolle bei Stipendienbewerbung sowie -erhalt. ↩︎

Das Dishwasher Magazin ist ein Magazin von Arbeiter*innenkindern für alle. Der Name bezieht sich auf den sog. Tellerwäscher-Mythos, also der Annahme, jede*r egal wo er oder sie herkommt und wer die Eltern sind, könne vom Tellerwäscher zum Millionär werden. So predigen es häufig privilegierte Menschen, auch wenn dies nicht der Realität entspricht.

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