Familiäre Hierarchien

Für meine Eltern war es immer wichtig, dass meine Schwester und ich eine gute Bildung bekommen und gute Noten haben. „…damit wir es einmal besser im Leben haben“ – ich glaube, diesen Satz habe ich etliche Male in meiner Kindheit gehört.

Wir wurden beide aufs Gymnasium geschickt mit dem Gedanken, dass wir Abitur machen und anschließend studieren. Meine Eltern hatten dazu leider beide niemals die Möglichkeit. Ihre Umstände haben ein Abitur, geschweige denn Studium, leider nicht zugelassen.

Meine Schwester ging genau den Weg, den meine Eltern sich vorgestellt hatten. Sie hatte einen perfekten Abschluss, technisches Interesse, machte einen Einser-Durchschnitt im Abi, fing danach an dual zu studieren, verdiente Geld, beendete in Regelstudienzeit ihren Bachelor mit einer 1,2 und wurde im Anschluss von der Firma übernommen, um noch ihren Master in Regelstudienzeit dran zu hängen. Wieder mit einer Note von 1,2.

Ich hingegen konnte leider nicht so ganz die schulischen Leistungen erfüllen, die sich meine Eltern gewünscht hätten, „…um es später einmal besser zu haben“. Schon auf dem Gymnasium versetzungsgefährdet, das gerade so mit mittelmäßigen Noten abgeschlossen. Dank G8 hatte ich nach dem Gymnasium nicht mal einen Hauptschulabschluss und quasi gar keine andere Wahl als auf die Oberstufe zu gehen. Nach einem Jahr auf der Oberstufe wusste niemand, ob ich jemals mein Abi schaffen werde. Die Frage stand im Raum, ob ich nicht einfach abbrechen und eine Ausbildung beginnen sollte.

Aber irgendwie habe ich mich durchgebissen. Zwar wurde es mehr schlecht als recht, aber trotzdem hatte ich nun immerhin ein Abitur und somit die Möglichkeit zu studieren.

Die Entscheidung was ich denn eigentlich machen will, fiel mir unfassbar schwer. Mir war mein „Gebiet“ nicht direkt von Anfang an so klar wie meiner Schwester. Nachdem ich ein Jahr im Ausland verbracht hatte, sollte ich dann aber trotzdem mal endlich anfangen zu studieren. Leider waren meine Noten für meine „Traumstudiengänge“ einfach viel zu schlecht. Und aus dem Grund begann ich einfach erstmal mit einem Lehramtsstudium. Obwohl ich eigentlich von Anfang an wusste, dass ich das auf keinen Fall machen will. Schließlich hatte ich selbst viel zu schlechte Erfahrungen in meiner Schulzeit gesammelt, um mich selbst in dieses Feld begeben zu wollen.

Nach einem Semester entschied ich mich also um und wechselte nochmal den Studiengang. Diesmal zu Erziehungs- und Bildungswissenschaften. Und baam, endlich war ich da gelandet, wo ich mich wirklich wohl fühlte.

Ich lernte nach und nach immer mehr Menschen kennen, die ähnliche Einstellungen hatten wie ich, ähnlich dachten, ähnlich fühlten und die das schon ihr ganzes Leben ausleben konnten.

Meine ganze Jugend habe ich mich immer irgendwie falsch in meiner Familie gefühlt, so als wäre ich fehl am Platz. Wenn am Abendessentisch gegen irgendwelche Minderheiten gehetzt wurde, bezeichnete mich mein Vater als „Sozialtante“, weil ich immer irgendwelche Argumente suchte, um diese Menschen zu verteidigen. Ich wurde immer nur belächelt für meine Einstellungen und bekam den Satz zu hören: „wenn du mal Erwachsen bist, dann wirst du schon noch lernen, wie das in der Welt so läuft…“. Damit war klar: Ich bin ja nur ein Kind, und Kinder haben keine Ahnung. Eltern dagegen haben die ganze Lebenserfahrung und wissen es deshalb besser.

Wie man sich sicher Denken kann, wurden die Konflikte in meiner Familie mit dem Beginn meines Studiums nur größer. Statt endlich älter und „weiser“ zu werden, fing ich noch mehr an irgendwelche gesellschaftspolitischen Theorien zu vertreten, die meinen Eltern gänzlich gegen den Strich gingen. Statt mich ihren Meinungen anzunähern, entfernte ich mich immer mehr in die komplett entgegengesetzte Richtung.

Mir gab es ein Gefühl von Bestätigung! Endlich hatte ich die Ressourcen, mich gegen meine Eltern durch zu setzen. Ich wohnte nicht mehr zuhause, also musste ich keine Angst vor einem schlechten Klima haben, wenn es mir zu viel wurde, fuhr ich einfach wieder. Außerdem hatte ich endlich das Gefühl, meine Einstellungen auch auf irgendetwas gründen zu können. Ich konnte eben nicht mehr nur das sagen, was ich dachte, sondern wusste auch dass solche Gedanken schon Menschen vor mir hatten. Menschen, die sich damit intensiv befasst hatten. Ich konnte mich auf wissenschaftliche Quellen stützen.

Das gute Gefühl blieb allerdings nicht lange erhalten. Durchsetzen hin oder her. Meine Eltern und ich entfernten uns immer weiter. Und ich habe lange gebraucht, um zu verstehen wieso. Meine Eltern fühlten sich auf einmal so wie ich in meiner Kindheit.

Ich hielt meinen Eltern vor, dass ich nun mehr weiß als sie. Dass ich ja jetzt an der Uni bin und mich mit all dem Zeug auf ach so wissenschaftliche Art und Weise befasse und ihnen deswegen auf einmal die Welt erklären kann, ihnen sagen kann, was gut und was schlecht ist.

Die Wissens-Hierarchie in unserer Familie hatte sich auf einmal total gewandelt. Meine Eltern waren nie damit konfrontiert, jemanden in der Familie zu haben der*die der Meinung ist, sie über gesellschaftliche Probleme aufklären zu müssen. Ich habe sie in der Art und Weise, in der ich ihnen vorhielt wie falsch sie doch denken, total erniedrigt. Ich fühlte mich als was Besseres, und das wusste ich auch zu zeigen. Ich habe mich durch all mein Wissen über meine Eltern gestellt.

Und das ist nicht der Weg, den ich gehen möchte. Denn meine Eltern können nichts dafür, dass sie nicht studiert haben. Meine Eltern hatten beide einfach nicht das Glück, die nötigen Ressourcen für ein Studium zu haben. Meine Eltern sind nicht schuld daran, dass ich es auf der Universität schwerer habe als Kommiliton*innen, die Akademiker*innen als Eltern haben. Meine Eltern sind auch nicht schuld daran, dass sie nicht verstehen können was ein Studium mit sich bringt. Und meine Eltern sind auch nicht schuld, dass sie niemals gelernt haben, die Welt kritisch zu hinterfragen.

Ja, auch ich bin ein Arbeiter*innenkind. Ja, auch ich bin mit Klassismus an meiner Uni konfrontiert. Und auch ich habe Nachteile an der Uni, weil ich aus keinem Akademiker*innenhaushalt komme. Aber gleichzeitig habe ich mich selbst auch schon klassistisch verhalten. Statt meine Eltern dafür zu verurteilen, dass sie mich nicht so unterstützen, wie ich mir das wünschen würde. Dass sie mich nicht so verstehen, wie es akademische Eltern meiner Kommiliton*innen tun. Habe ich irgendwann angefangen, mich zu fragen wie es sich für meine Eltern anfühlen muss, ein Kind zu haben, das ihnen vorhält, dass sie nicht die gleichen Wissensbestände aufbauen konnten.

Das Dishwasher Magazin ist ein Magazin von Arbeiter*innenkindern für alle. Der Name bezieht sich auf den sog. Tellerwäscher-Mythos, also der Annahme, jede*r egal wo er oder sie herkommt und wer die Eltern sind, könne vom Tellerwäscher zum Millionär werden. So predigen es häufig privilegierte Menschen, auch wenn dies nicht der Realität entspricht.

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