Zur Entstehung des Dishwashers
Von Andreas Kemper
Ich bin gebeten worden, zur Entstehung des Dishwashers ein paar Zeilen zu schreiben. Doch ich denke, es wäre zu langweilig, hier jetzt den Entstehungsverlauf chronologisch aufzuführen. Sinnvoller erscheint mir die Beweggründe von damals zu thematisieren und die Frage, warum es solange keine reguläre dritte Ausgabe gegeben hat.
Der Dishwasher als Sammlungsmagazin
Das Erscheinen des Dishwashers hing direkt zusammen mit der Entstehung und Entwicklung des Arbeiter*innenkinder-Referates im Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) der Uni Münster. Allgemeiner Studierendenausschuss hat eine doppelte Bedeutung. Zum einen meint das „allgemein“ in „Allgemeiner Studierendenausschuss“ die Allgemeinheit der Studierendenschaft. Vor einhundert Jahren wurde in Deutschland die Studierendenschaft von elitären Burschenschaften vertreten. Mit der Demokratisierung Deutschlands wurde schließlich auch der adlige Vorherrschaftsanspruch in der Studierendenschaft beendet und die Allgemeinheit der Studierenschaft vertrat sich mittels allgemeiner Wahlen selber. Die Entstehung der ASten ist also quasi das Resultat eines erfolgreichen Klassenkampfes bürgerlicher Milieus gegen den Vorherrschaftsanspruch elitär-adeliger Milieus. Es war sicher ein Fortschritt, dass die Allgemeinheit über ihre Angelegenheiten selber bestimmte, doch blieben Minderheiten in der Studierendenschaft (z.B. ausländische, weibliche, queere, behinderte, proletarische Studierende) dominiert von den männlichen und weißen Studierenden aus der der sogenannten Mittelschicht. Dies änderte sich erst in der Bundesrepublik im Zuge der 68er-Bewegung und einer neuen Politikform der Autonomen Frauenbewegung: Es entstanden „autonome Referate“, die gegen die Dominanz eigene Vollversammlungen für diskriminierte Gruppen einrichteten.
Merkwürdigerweise fehlte aber in der Reihe dieser autonomen Referate die politische Selbstorganiserung aufgrund von Klassismus. Erst ab Anfang 2000 wurde in Münster das in Deutschland bislang noch immer einzige Referat für studierende Arbeiter*innenkinder eingerichtet. In Münster ist das Referat zwar fest etabliert, doch wir merkten sehr früh, dass die Arbeit der gewählten Referent*innen zu willkürlich ist, wenn es keine kontinuierlichen Diskussionsprozesse gibt. Um die Interessen von Arbeiter*innenkindern im Bildungssystem politisch vertreten zu können, muss der Diskussionsprozess objektiviert werden. Das heißt, es braucht die Grundlage für eine politische und emanzipatorische Erkenntnisproduktion, die nicht nur von der Wahrnehmungs- und Interessenlage von ein oder zwei während einer Vollversammlung gewählten Referent*innen abhängig ist. Wenn es überhaupt zu einer politischen Arbeit gegen die Diskriminierung von Arbeiter*innenkindern kam – was in den Jahren leider nicht immer der Fall war –, wurde mit den jährlich neu gewählten Referent*innen die Arbeit der Vorgänger*innen nur selten fortgeführt. Es bräuchte daher weitere Referate für studierende Arbeiter*innenkinder, die einen gemeinsamen Diskussionsprozess entwickeln könnten.
Dies war der Grund für die Entstehung des Dishwasher als Papiermagazin und als Blog. Mit dem Dishwasher sollte ein Diskussionsprozess in Gang gesetzt werden, der von den lokalen Besonderheiten und den individuellen Befindlichkeiten in Münster abstrahiert. Zugleich war die Hoffnung, mit dem Dishwasher die Etablierung weiterer Initiativen und Referate von studierenden Arbeiter*innenkindern voranzutreiben.
Sarrazin, AfD und Eribon
Tatsächlich zeigte sich nach der ersten Ausgabe vom Dishwasher (ein Din-A-5Heftchen) zum Thema „Eltern“, dass dieses sehr schnell vergriffen war. Das Interesse war vorhanden. Auch die zweite, professioneller gestaltete Ausgabe („race, class, gender …“) war schnell vergriffen.
Zu einer regulären dritten Ausgabe kam es nicht. Ich war nicht mehr im AStA tätig und hatte nur noch im September 2010 eine Sondernummer mit drei Artikeln zum am 30. August 2010 von Thilo Sarrazin herausgegebenen Machwerk „Deutschland schafft sich ab“ online publiziert (http://dishwasher.blogsport.de/images/Sarrazin2.pdf). Der Dishwasher-Blog hatte bereits vor diesem Buch Sarrazins Klassismus in mehreren Beiträgen kritisiert. Daher konnte der Dishwasher schneller als andere auf das Buch reagieren.
Mein Beitrag im Dishwasher zu Sarrazin befasste sich mit Sarrazins Unterstützernetzwerken. Meine Recherchen zu diesen Netzwerken waren zeitintensiv. Die Zeit fehlte mir, um von Außen die Herausgabe einer dritten Dishwasher-Ausgabe („Leben und Überleben an der Hochschule“) voranzutreiben – zudem hatte der AStA ohne Vorwarnung sämtliche Dishwasher-Dateien gelöscht, als ich nicht mehr im AStA arbeitete. Die dritte Ausgabe ist daher nie realisiert worden.
Zu meiner Entschuldigung kann ich anführen, dass es wichtig gewesen ist, der Spur zu folgen, auf die mich 2010/2011 die Recherche der Sarrazin-Unterstützungsnetzwerke gebracht hatte. Die Recherche-Ergebnisse verdichteten sich zur Arbeitshypothese, dass sich auf breiter Ebene Strukturen für eine neue Partei anbahnten. Ich nahm im Spätsommer 2012 Kontakt zu einem Verlag auf mit der Hypothese, dass nun die Sarrazin-Partei entstehen würde, entwickelte aus meinen Recherchen ein Manuskript und gab schließlich im Juli 2013 mit großem zeitlichen Abstand das erste Buch zur gerade neu gegründeten Partei „Alternative für Deutschland“ heraus („Rechte Euro-Rebellion: Alternative für Deutschland und Zivile Koalition“). Seither konnte ich als „der“ AfD-Experte nur wenig Zeit für die Weiterentwicklung des Dishwasher aufbringen.
Allerdings zeigte sich am Verkaufserfolg von Didier Eribons Bildungskritik „Rückkehr nach Reims“, in der er der Frage nachging, warum seine Eltern, Arbeiter*innen, ehemalige Kommunist*innen, heute den „Front National“ wählen, dass Interesse am Klassismus, insbesondere an der Bildungsbenachteiligung von Arbeiter*innenkindern, besteht – wenn auch indirekt durch den Erfolg der Rechten. Mit dem „Solidarischen Patriotismus“ des faschistischen Flügels um Björn Höcke versucht nun auch die AfD, Arbeiter*innen auf ihre Seite zu ziehen. Ihr Manko: Sie können die „Soziale Frage“ nicht auf der Bildungsebene stellen, da ihnen ein nationalistischer Ständestaat vorschwebt („Jedem das seine“). Höcke hatte sich während eines Vortrags zehn Minuten lang zu mir, meinen Eltern und dem Begriff „Klassismus“ ausgelassen zur Erheiterung seiner faschistischen Zuhörerschaft. Soziale Selektion gehört zu den Grundprinzipien des Faschismus. Daher forderte die Alliierte Kontrollkommission Ende der 1940er Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus ein Schulsystem ohne soziale Selektion, eine Schule für alle bis zur Oberstufe, was leider in der BRD verworfen wurde – zum Teil auf Grundlage von NS-“Wissenschaftlern“ (Karl Valentin Müller).
Anders gesagt: Seit Sarrazin und erst recht seit Entstehung der AfD gibt es einen weiteren wichtigen Grund zur Etablierung einer politischen Bewegung von studierenden Arbeiter*innenkindern: Antifaschismus.
Dishwasher – wie weiter?
Eribons Buch, bzw. die Tatsache, dass vor allem in marginalisierten Regionen ohne Hoffnung die AfD überproportional stark gewählt wird, lässt den Widerstand bürgerlicher Kräfte gegen die Etablierung emanzipatorischer Selbstorganisierungen von Arbeiter*innenkindern erodieren. Dass Arbeiter*innkinder sich bislang nicht politisch selbstorganisieren konnten, hatte wenig mit ihren Interessen und Kompetenzen zu tun. Münster zeigt, dass es mehr als zehn Jahre brauchte, um das Referat vom Studierendenparlament anerkennen zu lassen bei durchgehend „linken“ Mehrheiten. Als das Studierendenparlament schließlich das Referat in der Satzung anerkannte, kassierte das Referat die entsprechende Satzung. Weitere Kämpfe stimmten schließlich auch das Rektorat um. Heute haben wir eine andere Ausgangslage. Bei allem Klassismus und bei aller Diskrimierung von Arbeiter*innenkindern im Bildungssystem können wir anerkennen, dass die Prügelstrafe abgeschafft ist. Autoritäre Charaktere finden sich vor allem aufgrund von Bildungsreformen in unserer Gesellschaft sehr viel seltener als noch in der Weimarer Republik. Faschismus braucht Faschist*innen, um funktionieren zu können. Und um Faschist*innen zu produzieren, braucht es ein autoritäres Bildungssystem.
Viele Akademiker*innen und ihre studierenden Kinder zögern heute in der vehementen Verteidigung eines klassistischen Bildungssystems, weil ihnen die Entwicklung der AfD unheimlich ist. Sie sind klassistisch, aber sie sind nicht faschistisch. Und wir müssen ihnen klar machen, dass Antifaschismus nicht ohne Antiklassismus geht. Wenn wir schon nicht klar machen können, dass man von Kapitalismus sprechen muss, wenn man von Faschismus sprechen will. Dann können wir anhand der Wähler*innenpotentials der AfD zumindest klar machen, dass man von Klassismus sprechen muss, wenn man von Faschismus sprechen will. Wir müssen klar machen, dass das selektive Freund-Feind- / Wir-Die-Denken der AfD-Faschist*innen seine strukturelle Grundlage im sozial selektiven Schulsystem hat, welches schon Grundschüler*innen beibringt, dass es angeblich unterschiedliche Qualitäten von Menschen gäbe.
Wir haben damals einen Verein zur Herausgabe des Dishwashers gegründet. Aktuell wird der Dishwasher weiterhin vom Referat in Münster herausgegeben. Sollten sich weitere politische Selbstorganisationen von studierenden Arbeiter*innenkindern gründen, wäre es sinnvoll, den Verein als Herausgeber zu reaktivieren.